Montag, 14. Januar 2013

Peter Heather "Invasion der Barbaren"

Wer unter diesem Titel einen actionlastigen historischen Roman erwartet, den muss ich leider enttäuschen. Vielmehr handelt es sich um eine voluminöse Abhandlung der geschichtlichen Entwicklungen innerhalb des 1. nachchristlichen Jahrtausends in dessen Zuge der Untergang des römischen Reiches und der Aufstieg des fränkischen Reiches, der Wikinger und der Slawen hin zur Entstehung Europas ausführlich behandelt wird.

Der Historiker Peter Heather ist auf diesem Gebiet kein Neuling. Bereits in seinem 'Untergang des römischen Reiches' tat er sich mit der These hervor, dass die Ursache desselben weniger in den innenpolitischen Entwicklungen des Reiches als vielmehr in der durch den Einfall der Hunnen ausgelösten Völkerwanderungsbewegung der germanischen Volksstämme begründet liege. Ich bin kein Historiker und möchte auch in keiner Weise in die Argumentation der hier aufeinanderprallenden Lager eingreifen, sondern lediglich Peter Heathers Buch "Invasion der Barbaren" aus der Sicht eines interessierten Laiens beurteilen. Zunächst einmal gliedert Heather den umfangreichen Stoff chronologisch was ich gegenüber einer geographisch angelegten Ordnung begrüße. Der erste Teil des Buches widmet sich dabei dem Untergang des (west-)römischen Reiches, während der zweite Teil dem Aufstieg der Slawen, Franken und Wikinger in der Nachbarschaft des Fränkischen Reiches und des Oströmischen Reiches sowie der islamischen Welt gewidmet ist.
"Form und Verlauf der Migration der Barbaren im 1. Jahrtausend wurden maßgeblich durch die soziookonomischen und politischen Transformationen der Gesellschaften des barbarischen Europa und ihrer Interaktion mit den imperialen Mächten ihrer Zeit bestimmt." (Seite 12)
So lautet Heathers Kernthese, die er argumentativ ausführlich darlegt. Die ersten 300 Seiten des Buches widmen sich im Wesentlichen der beständigen Bedrängung des römischen Reiches durch zahlreiche „Barbarenstämme“, die allerdings ebenfalls untereinander jeweils in vielfältige Konflikte verstrickt lagen. Eine beabsichtigte Zerschlagung oder Zermürbung des Imperiums lag diesen Völkern daher meist fern. Viel wichtiger war zunächst das eigene Überleben, auch wenn die Völkerwanderungen der ersten Jahrhunderte einen gewichtigen Teil zur Auflösung der alten Ordnung beitrugen. Im Jahr 476 war das Ende des weströmischen Reiches durch Absetzung des Kaisers Romulus Augustulus unweigerlich besiegelt, eine Neuordnung Europas kündigte sich an und Merowinger, Franken, Slawen, Sachsen, Wikinger und zahlreiche weitere Völkerschaften standen in den Startlöchern um die Macht zu übernehmen.

Dass sich das alles natürlich alles andere als geordnet vollzog liegt auf der Hand. Und so verwickelt sich auch Peter Heathers flüssig und unterhaltsam geschriebenes Buch immer wieder in das undurchdringliche Dickicht und Durcheinander der vielfältigen Bewegungen und Ströme der unterschiedlichen Volksgruppen und Stämme. So fällt es dem Leser manchmal schwer, den Überblick zu behalten, da Heather nicht nur versucht die Fakten darzustellen, sondern ebenfalls die Argumentationen und logischen Gedankengänge bereithält, die zu ihrer Rechtfertigung bei der oft dünnen Quellenlage dienen sollen. Leider bleibt der Eindruck, dass es nicht immer gelang, alle Widersprüche vollständig aufzulösen. Glücklicherweise - und das macht dieses Buch auf alle Fälle lesenswert - beschränkt er sich nicht auf der bloßen Darstellung der gesamtgeschichtlichen Ereignisse, sondern bietet auch immer wieder anekdotische Details und Begebenheiten, die das monumentale Werk auflockern. Alles in allem habe ich nach der Lektüre den Eindruck, die Tür in dieses turbulente erste Jahrtausend wenigstens einen kleinen Spalt breit geöffnet zu haben. Dennoch bleiben weite Strecken weiterhin im Dunkeln. So bleibt es aber spannend, was die Geschichtsforschung wohl in Zukunft noch über diese "dunklen" Zeiten bereithält.

Fazit: Umfangreiches historisches Werk, das versucht etwas Licht zu bringen in eine gesamteuropäische Geschichte des ersten Jahrtausends. Nur etwas für wirklich daran Interessierte.


Peter Heather
Invasion der Barbaren - Die Entstehung Europas im ersten Jahrtausend nach Christus
Klett-Cotta, Stuttgart (2011)
667 Seiten
39,95 Euro

Mittwoch, 2. Januar 2013

2012 - Ein garantiert statistikfreier Rückblick

Wenn ich etwas unerträglich finde, dann sind dies (quantitative) Lesestatistiken, wie man sie der Tage zu Dutzenden in diversen "Buchblogs" findet. Wenn der Blogautor sein Seelenheil darin findet, der Welt zu verkünden, was für ein toller Hecht man wäre, da man die Seiten zu Tausenden gefressen habe, an diversen "Lese-Competitions" teilgenommen habe und die Zielvorgaben gleich einem kommunistischen Fünfjahresplan zielstrebig übertroffen habe, dann kann ich nur verständnislos den Kopf schütteln. Für mich ist Lesen Genuss! Und wie bei jedem Genuss kommt es mir nicht darauf an, möglichst viel in Masse zu genießen, sondern möglichst viel Genuss aus dem zu Genießenden zu ziehen. Und das kann bisweilen auch schon einmal etwas länger dauern, insbesondere, wenn man ins Nachdenken über das Gelesene kommt. Daher mein Rat an all die frustrierten Leser, die fassungslos diese wahnwitzigen Statistiken der "Vielleser" bestaunen: Um Gottes Willen nehmt euch daran bloß kein Beispiel! Lest so viel ihr wollt, so langsam ihr wollt, so oft ihr wollt. Fangt nicht an zu zählen! Bemesst die Qualität des Gelesenen und vor allen Dingen die Qualität des Lesers nicht an der Menge der konsumierten Seiten! Natürlich gibt es viel mehr zu lesen als ich oder irgendjemand sonst auf der Welt tatsächlich lesen könnte. Aus diesem Grund sind die vielen Rezensionen, die man in Blogs oder in der Presse findet auch so hilfreich. Sie helfen uns bei der Auswahl unserer Lektüre und verhindern, dass wir unsere knapp bemessene Lesezeit an "taube Nüsse" verschwenden. Daher auch in diesem Jahr ohne große Worte von meiner Seite aus eine kurze Zusammenstellung meiner "Lieblingslektüre" 2012:


Platz 1:
Stephen King
Der Anschlag
Heyne, 2011
1056 Seiten

Ich hätte nie gedacht, dass ich dass einmal zugeben müsste, aber für mich war es 2012 einfach das beste Buch, das ich gelesen habe. Großes Kino, spannend geschriebene, wohlrecherchierte und gut durchdachte Geschichte. Allen nur wärmstens zu empfehlen!
Zur Rezension im Biblionomicon.



Platz 2:
Umberto Eco
Der Friedhof in Prag
Hanser Verlag (2011)
528 Seiten


Es ist ihm noch einmal gelungen, dem Großmeister aller Verschwörungstheoretiker, ein spannendes und vor historischen Fakten nur so wimmelndes Werk zu schaffen. Allen eingeweihten und hartgesottenen Fans wärmstens ans Herz gelegt wird Eco dadurch wahrscheinlich aber nur schwerlich neue Anhänger unter der Generation iPad gewinnen können.
Zur Rezension im Biblionomicon.


Platz 3:
Günter Grass
Die Blechtrommel
dtv (1993)
784 Seiten

Große Literatur, große Sprachgewalt. Ein Meilenstein in der deutschen Literaturgeschichte von einem großartigen Erzähler!
Zur Rezension im Biblionomicon.





Platz 4:
Fredrik Sjöberg
Der Rosinenkönig - oder Von der bedingungslosen Hingabe an seltsame Passionen
Verlag Galiani Berlin (2011)
236 Seiten

In liebenswerter Detailfülle erzähltes kleines Büchlein über einen heute vergessenen bemerkenswerten Sonderling, der uns mit seiner Liebe zum Detail und seinen "Stehaufmännchenqualitäten" auch heute noch durchaus zum Vorbild gereicht.
Zur Rezension im Biblionomicon.



Platz 5:
C.H.Beck (2011)
428 Seiten

Auszüge aus einem für die Nachwelt bestimmten Tagebuch des 18. Jahrhunderts aus privilegierter Perspektive, das einem nach einigen Anfangsschwierigkeiten durchaus fesselnd in seinen Bann ziehen kann. 




Weitere Jahresrückblicke: