Sonntag, 16. Oktober 2011

Das also ist des Pudels Kern - Robert Löhr 'Der Schachautomat'

Seit sich der schöpferische Geist des Menschen an der Erschaffung von Maschinen versucht, lag eines seiner großen mythischen Ziele darin, es seinem Schöpfergott gleich zu tun und sich ein intelligentes Ebenbild zu schaffen. Gleich nicht nur an körperlichen sondern vor allen Dingen auch an geistigen Fähigkeiten. Die intelligente Maschine oder am Ende gar die denkende und fühlende Maschine? Da die künstlichen Intelligenz zu meinen Interessen- und Forschungsgebieten zählt, war die literarische Aufarbeitung und Diskussion eben dieser Thematik für mich schon immer von besonderem Interesse. So auch Robert Löhrs 'Der Schachautomat', in dem es dem Autor gelungen ist, die tatsächlichen Begebenheiten um den berühmten 'Schachtürken' in die unterhaltsame Form eines spannenden historischen Romans zu gießen.

Wir schreiben die Zeit der Aufklärung. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wetteifern die Mechaniker und Wissenschaftler um den Bau möglichst der Natur nach gestalteter Maschinen, wie z.B. Vaucansons mechanischer Ente, die in der Lage war, Körner aufzupicken und künstlich zu verdauen, oder dem Schreibroboter in menschlicher Gestalt von Pierre Jaquet-Droz, der mit Feder und Tinte kleine, vorgegebene Schriftstücke aufsetzen konnte. All diesen Maschinen war gemeinsam, dass sie alle nur einem von ihrem Erbauer vorgegebenen, einfachen Schema (Algorithmus) folgen konnten, das zugegebenermaßen meist genial mit den mechanischen Mitteln der damaligen Zeit umgesetzt und ausgeführt wurde. Die so hervorgerufene naturnahe Nachahmung setzte die weniger gebildeten Zeitgenossen in Erstaunen und legte die Vorstellung nahe, dass es nur ein wenig mehr der Forschung bedürfe, um tatsächlich die menschliche Intelligenz in Form einer Maschine nachzuahmen.

1769 verspricht Hofrat Wolfgang von Kempelen der Kaiserin Maria Theresia, einen intelligenten, schachspielenden Automaten zu bauen. Der erfahrene Hofmechanikus Friedrich Knaus aber, der bekannte Konstrukteur eines Schreibautomaten, weiß es aus Erfahrung besser und kann darüber nur lachen. Aber schon im Jahr Jahr darauf präsentiert von Kempelen vor der Kaiserin seinen Schachautomaten und es ist ausgerechnet auch der Hofmechaniker Knaus, gegen den der Automat im Spiel antreten muss und fulminant gewinnt. Kempelen scheint ein gemachter Mann und sein Siegeszug ist unaufhaltsam. Doch der gedemütigte Knaus wittert den Betrug und wird zu Kempelens erbittertsten Gegner.

Das Geheimnis hinter Kempelens intelligentem Automaten liegt im kleinwüchsigen Tibor, ein hochbegabter Schachspieler, den von Kempelen aus Venedigs Bleikammern freigekauft hat und um den herum der ganze Automat von Kempelen und von seinem Assistenten Jakob maßgeschneidert wurde. Der Automat selbst besitzt die Gestalt eines Türken, der an einem Schachtisch sitzt und die Figuren über eine komplexe Mechanik von Tibor gesteuert über die Felder des Schachbretts bewegt. Doch niemand darf von der Existenz Tibors wissen, und so lebt er im Hause Kempelen quasi als Gefangener im goldenen Käfig. Aber auch von Kempelens Gegner schmieden Pläne um ihm auf die Spur zu kommen und Friedrich Knaus schleust die Mätresse Elise als Dienerin im Hause Kempelens als Spionin ein. Während einer der zahlreichen Vorführungen des Schachautomatens geschieht jedoch ein Unglück, als die Maschine alleine mit einer früheren Geliebten von Kempelens im Raum verbleibt und diese anschließend tot aufgefunden wird. Zwar gelingt es von Kempelen den mysteriösen Tod als Unfall darzustellen, doch Gerüchte und Aberglaube nehmen ihren verhängnisvollen Lauf. Tibors Schicksal liegt jetzt in von Kempelens Händen und scheint von nun an endgültig an den unglückseligen Automaten geknüpft.
"Ist auf den Zwerg Verlaß?", fragte Nepomuk."Wieso fragst du?""Weil ich ihn nicht leiden mag. Weil ich das Gefühl nicht loswerde, daß er eine verschlagene kleine Höllenbrut ist, die eines Tages ihre Deckung fallen lässt und dir gefährlich wird. Wer ein Leben als Zwerg geführt hat und so viel Böses von der Welt ertragen mußte, muß doch eines Tages zwangsläufig selbst böse werden..."(Seite 207) 
Robert Löhrs Roman ist bei aller historischer Genauigkeit vor allem eines, nämlich überaus spannend und unterhaltsam erzählt. Darin zieht er mit den beiden später erschienenen Goethe-Romanen Löhrs 'Das Erlkönig-Manöver' (vgl. 'Geheim-Rat als Geheim-Agent...' Biblionomicon, 09.02.2009) und 'Das Hamlet-Komplott' (vgl. 'Indiana Jones und die deutsche Romantik...', Biblionomicon, 23.01.2011) zumindest gleich. Tatsächlich empfinde ich den Schachautomaten darüber hinaus noch erzähltechnisch dichter und historisch glaubwürdiger erzählt. Dies kann jedoch auch daran liegen, dass einem die Hauptpersonen der Handlung nicht ganz so vertraut sind, wie Goethe, Schiller, Kleist, von Humboldt und die anderen berühmten Protagonisten der beiden Goethe-Romane. Robert Löhr nimmt sich Zeit für seine Charaktäre, die nicht nur als Abziehbilder von bekannten Stereotypen daherkommen und gewährt sowohl aufschlussreiche Einblicke in ihr Inneres als auch detaillierte Schilderungen der historischen Umstände und des täglichen Lebens. Bei dieser Gelegenheit möchte ich alle, deren Interesse jetzt vielleicht geweckt worden ist, noch auf die großartige Schauergeschichte 'Moxons Herr und Meister' von Ambrose Bierce hinweisen (leider aktuell nur im Antiquariat erhältlich bzw. hier im englischen Original), in dem sich der große amerikanische Autor Erzähler auch dem Thema des Schachautomatens von einer ganz anderen Seite her widmete.

Fazit: Aus vielerlei Gründen ein spannender und lesenswerter historischer Roman. Lesen!


Robert Löhr:
Der Schachautomat -Roman um den brilliantesten Betrug des 18. Jahrhunderts,
Piper Taschenbuch
9,95 Euro





Links:




Sonntag, 2. Oktober 2011

Morbide und Düster - Pedro A. De Alarcón 'Der Freund des Todes'

Ich hatte diese Bücher bereits vor über 20 Jahren für mich entdeckt, als ich in den Buchhandlungen meiner Heimatstadt auf der Suche nach phantastischer Literatur herumstöberte. Dabei fielen mir diese schmalen, aber überaus kunstreich gestalteten Taschenbücher der Edition Weitbrecht auf, die unter dem Titel 'Die Bibliothek von Babel' vom großen Jorge Luis Borges herausgegeben wurden, und die phantastische Erzählungen von mehr als 40 Autoren aus drei Jahrhunderten und allen Kontinenten vereinten. Jeder einzelne Band der 30-bändigen Reihe wurde von Borges persönlich eingeleitet, indem er die Autoren und deren Werk kurz vorstellt. Die Edition Büchergilde legte diese Serie vor wenigen Jahren erneut in einer ansprechenden Aufmachung als bibliophile Künstleredition mit Umschlagillustrationen von Bernhard Jäger auf, deren ersten Band ich mich heute widme.

Der erste Band der 'Bibliothek von Babel' ist dem Spanier Pedro Antonio de Alarcón gewidmet, einem Autor des 19. Jahrhunderts, der den meisten von uns heute sicherlich völlig unbekannt sein dürfte. Er enthält die beiden Erzählungen 'Der Freund des Todes' (El amigo de la muerte) und 'Die große Frau' (La mujer alta), die seinem Buch 'Unwahrscheinliche Geschichten' (Narraciones inverosimiles) entnommen sind, und die der in Guadix in der Provinz Granada geborene Autor als Überlieferung aus dem Munde der ortsansässigen Ziegenhirten aufgeschnappt haben soll.

'Der Freund des Todes' erzählt vom Schneidersohn Gil Gil, dem das Leben übel mitspielt. Die Schönheit seiner Mutter blieb dem Grafen von Riónuevo nicht verborgen, der Gil als Pagen mit an seinen Hof nimmt, wo er sich in die schöne Elena, die Tochter des Herzogs von Monteclaro verliebt. Doch als der Graf stirbt, wird Gil von dessen Frau, die ihn nie ausstehen konnte, aus dem Haus geworfen. So verliert er binnen kurzem nicht nur seine Anstellung, sein Ansehen, sondern auch seine große Liebe. Als er vor lauter Verzweiflung schließlich beschließt, sich umzubringen, tritt im der leibhaftige Tod gegenüber und trägt ihm, dem Bedauernswerten seine Freundschaft an. Er bietet ihm ein glückliches Leben an, versehen mit der Gabe, als Wunderarzt stets erkennen zu können, ob ein Patient genesen oder sterben wird, wobei ihm der Tod höchstpersönlich jeweils die entscheidenden Hinweise geben würde. So beginnt ein erneuter Aufstieg Gils, der ihm seiner geliebten Elena schließlich wieder nahe bringen soll. Doch dieses Glück währt nur für allzu kurze Dauer....
"Du wirst nicht sterben, weil Du schon tot bist; aber Du wirst bis drei Uhr heute nachmittag schlafen und dann..." (Seite 120)
Während die erste Geschichte des Bandes in der Mitte des 18. Jahrhunderts, also in ferner Vergangenheit spielt, ist die zweite Erzählung 'Die große Frau' zu Lebzeiten des Autors um 1860 angesiedelt. Darin erscheint der Tod in Gestalt einer großen, unheimlichen Frau, die dem Ingenieur Telesforo zunächst zufällig in den nächtlichen Straßen der Stadt begegnet und ihn buchstäblich fast 'zu Tode' erschreckt. Aber jede der darauf folgenden Begegnungen mit ihr kündigt das Ableben eines ihm nahestehenden und geliebten Menschen an.  Am Ende wird die große Frau auch am Grab Telesforos stehen...
"Die große Frau begann zu lachen und zeigte mit ihrem Fächer auf mich, um mich zu demütigen, als ob sie meine Gedanken erraten hätte und den Leuten meine Feigheit preisgeben wollte..." (Seite 152)
Die beiden phantastischen Geschichten personifizieren den Tod, verleihen ihm ein eigenes Gesicht und stellen ihn mitten unter uns ins Leben. Bei aller Kürze trifft Alarcón doch einen Nerv, der uns die geradelinig gezeichneten Gestalten plastisch vor Augen treten lässt und uns mit hinein reißt in den Strudel der schaurigen Geschehnisse.

Fazit: Zwei magische Geschichten eines hierzulande nahezu unbekannten Autors, die ich allen Freunden der phantastischen Literatur ans Herz kann.


Pedro de Alarcón:
Der Freund des Todes,
Die Bibliothek von Babel, Band 1,
übersetzt von Astrid Schmidt,
edition Büchergilde (2007)
152 Seiten
17,90 Euro