Donnerstag, 31. Dezember 2009

Literarisches Jahresend-Stöckchen

Das Jahresende ist eben doch immer wieder eine gute Gelegenheit ein Resumé zu ziehen, so auch über mein Lesejahr 2009. Und wie zu jeder Gelegenheit gibt es auf für diese das passende Stöckchen von BuchSaiten, das ich hier dazu aufgreifen möchte:

Welches war das Buch in diesem Jahr, von dem ich mir wenig versprochen habe, das mich dann aber positiv überrascht hat? (und Begründung)


Ich wusste nicht genau, worauf ich mich bei diesem Buch einließ. Zwar prophezeite mir meine Liebste bereits, dass mir das Buch bestimmt gefallen würde, aber ich hatte so meine Zweifel. Aber Muriel Barberys "Die Eleganz des Igels" hat wirklich einen tiefen Eindruck in mir hinterlassen und es war eines der besten Bücher, die ich in diesem jahr gelesen (und rezensiert) habe.

Muriel Barbery gelingt mit der detailverliebten Darstellung ihrer Charaktere mit all ihren Ecken und Kanten sowie den zahlreichen Ausflügen in das Reich der Hochkultur und Philosophie ein wahres Meisterwerk!

Welches war das Buch in diesem Jahr, von dem ich mir viel versprochen habe, das mich dann aber negativ überrascht hat? (und Begründung)


Da hatte ich mir bei Michael Schneiders "Das Geheimnis des Cagliostro" einen spannenden historischen Roman mit zahlreichen dokumentarischen, historischen und bibliografischen Querverweisen erwartet und wurde dann doch aber nur mit mit einer durchschnittlich (platten) Geschichte abgespeist (siehe Rezension), deren historische Querverweise sich nur mit der Lupe suchen lassen und deren Charaktere aus einem Groschenroman stammen könnten. Es erscheinen aktuell eben viel zu viele dieser Pseudo-historischen Romane, die allesamt nicht an die großen Vorbilder ala Feuchtwanger, Umberto Eco oder Ranke-Graves heranreichen...


Welches war eure persönliche Autoren-Neuentdeckung in diesem Jahr und warum?

Ganz eindeutig Alberto Manguel. Auch wenn es sich dabei NUR um ein Sachbuch handelte, war ich doch während der kompletten Lektüre der "Geschichte des Lesens" von vorne bis hinten fasziniert von der unterhaltsamen aber doch exakten und liebevoll gestalteten sprachlichen Ausdrucksweise dieses "Königs der Leser", so dass ich es kaum erwarten kann, in Zukunft noch mehr von ihm zu lesen (siehe Rezension).

Natürlich muss ich hier auch noch einmal Muriel Barbery (siehe oben) erwähnen, deren Sprachgewalt (und das liegt mit Sicherheit auch vorallem an ihrem Übersetzer) mich sehr beeindruckt hat.


Welches war euer Lieblings-Cover in diesem Jahr und warum?


Katharina Hagena "Der Geschmack von Apfelkernen"...weil es einfach schön ist :)

Montag, 28. Dezember 2009

Kartenwahrheiten und wahre Wahrheiten - Reif Larsen: Die Karte meiner Träume


Natürlich waren es die Illustrationen, Karten und Zeichnungen, die dieses Buch auf den ersten Blick so ungewöhnlich wie auch interessant erscheinen ließen, auch wenn man erst ein wenig Zeit braucht, um sich an den holprigen Stil zu gewöhnen, da man immer wieder durch bildunterstützte Einschübe im Lesefluss unterbrochen wird, erweist sich Reif Larsons Roman am Ende doch als echter "Pageturner".

Obwohl ein Romandebut, brachte es Reif Larsens "The Selected Works of T.S. Spivet", wie "Die Karte meiner Träume" mit Originaltitel heißt, schon bereits vor seinem Erscheinen im Frühjahr 2009 in die Schlagzeilen, da Penguin Press Reif Larsen einen Vorschuss von fasst einer Million US-Dollar gezahlt haben soll, bevor zehn weitere Verlagshäuser in die entstandene Bieterschlacht um die künftigen Publikationsrechte eingestiegen sind...

Tecumseh "Sparrow" Spivet (kurz T.S.) ist 12 Jahre alt und ein begnadeter Kartograph. Er lebt zusammen mit seiner älteren Schwester Gracie (Girlie-Pop und Pink-umrandetes iBook), seinem wortkargen Rancher-Vater (Western-Videos und Billy-the-Kid Schrein im Wohnzimmer) und seiner akademischen Mutter Dr. Clair (verhinderte Käfer-Wissenschaftlerin, seit 20 Jahren auf der Suche nach einem "Phantom"-Käfer) auf einer kleinen Farm in Montana, also weitab der pulsierenden modernen Metropolen dieser Welt. Alles, was T.S. umgibt, angefangen von Alltagskleinigkeiten bis hin zu zu kartografisch-statistischen Großprojekten, alles verwandelt er dank seiner grafisch-wissenschaftlichen Begabung in Landkarten, die er in Bergen von Notizbüchern festhält und in diversen Bücherregalen geordnet archiviert. Dr. Yorn, ein Freund und Bekannter seiner Mutter unterstützt ihn bei seinen Projekten, die ihm - ohne das Wissen seiner Familie - bereits Veröffentlichungen in bekannten wissenschaftlichen Zeitschriften eingebracht haben. Zudem reicht er die Zeichnungen ohne T.S. Wissen bei einem Wettbewerb des berühmten Smithsonian Instituts ein, den er prompt gewinnt. Bei einem Anruf des Smithsonian gibt sich T.S. als Erwachsener aus und wird zur Gala-Veranstaltung nach Washington und als Gastwissenschaftler für ein Jahr an das Smithsonian Institut eingeladen.
"Wenn du nicht tust, was du tun kannst, dann tötest du einen Teil deiner selbst, und dieser Teil wird nicht wieder nachwachsen." (Seite 273)
Aber T.S. ist eben nur ein 12-jähriger kleiner Junge, zudem mit einem traumatischen Erlebnis belastet, das die ganze Familie in Mitleidenschaft gezogen hat. Sein jüngerer Bruder Layton ist in Folge eines gemeinsamen Experiments beim Überprüfen eines Gewehrs mit Ladehemmung ums Leben gekommen und T.S. fühlt sich dafür verantwortlich. Insbesondere scheint niemand in der ganzen Familie dem anderen tatsächlich zuzuhören oder mit dem anderen zu reden. So packt T.S. seinen Koffer mit den wichtigsten Kartographen-Utensilien und verlässt die elterliche Farm im Morgengrauen, um mit einem nahe an der Farm vorüberfahrenden Güterzug gleich einem Hobo die verwegene und abenteuerliche Reise quer durch die USA nach Washington anzutreten.
"Ich gehörte hier nicht hin. Ich wusste das schon lange...Ich passte nicht in dieses Land der Berge. Ich würde nach Washington gehen. Ich war Wissenschaftler, Kartograph, ich wurde dort gebraucht." (Seite 74)

In einem Notizbuch, das er seiner Mutter beim Abschied entwendet hat, findet er anstelle taxonomischer Untersuchungen über Käfer die Geschichte seiner Ur-Urgroßmutter Emma Englethorpe Spivet, promovierte Kartografin und eine der ersten Professorinnen der USA, die auf einer kartografischen Expedition in den Westen des Landes seinen Ur-Urgroßvater Tearho Spivet, einen finnischen Einwanderer kennen und lieben gelernt hatte. Auf seiner Reise lernt T.S. viel über sich und seine Familie, er passiert unbeschadet ein Wurmloch (vielleicht hat er das aber auch nur geträumt), erreicht trotz aller Hindernisse, Gefahren und Abenteuer Washington und wird tatsächlich Mitglied des sagenumwobenen Megatherium-Clubs des Smithsonian. Auch wenn ich das Ende der Geschichte hier noch nicht verraten möchte, sollte ich erwähnen, dass einige der oft überschwenglich positiven Kritiken auf dieses Erstlingswerk vor allen Dingen das Ende und die Auflösung des Romans kritisieren. Ein abschließendes Urteil darüber sollte man sich aber am besten doch selbst bilden.
"Eine Karte ist mehr als das (Punkte und Striche), sie verzeichnet nicht nur, sie erschließt und schafft Bedeutung, sie ist ein Brückenschlag zwischen hier und dort, zwischen scheinbar unvereinbaren Ideen, die wir nie zuvor im Zusammenhang gesehen haben." (Seite 163)
Dieses Buch kommt daher wie ein sorgsam illustriertes Roadmovie, das uns das Innenleben eines Wunderkinds vor Augen führt, dessen Familienleben etwas aus den Fugen geraten zu sein scheint. T.S. analytisch nüchterne Weltsicht erinnert mich stark an den autistischen Titelhelden Christopher Boone, der in Mark Haddons Roman "The Curious Incident of the Dog in the Night-time" die Aufklärung des Mords am Nachbarshund in Sherlock-Holmes-Manier aufnimmt und sich dabei ebenfalls auf eine für seine Verhältnisse mehr als große Reise begibt (die Rezension der Geschichte findet sich auch hier im Biblionomicon). Aber im Gegensatz zu Christopher Boone ist T.S. natürlich kein Autist. Seine wenigen, aber doch vorhandenen sozialen Kontakte beschränken sich aufgrund seiner beeindruckenden Fähigkeiten auf seinen wissenschaftlichen Ziehvater Dr. Yorn und in der Hauptsache auf seine Familienmitglieder. Selbst in Washington angekommen, wird er als 12-jähriges Wunderkind in den Medien herumgereicht und jeder möchte seine Popularität für eigene Zwecke nutzen. Einen wahren Freund zu finden ist schwerer als man denkt.


Was mich selbst etwas verwirrt hat, ist der seltsam anmutende und kaum vorhandene Umgang mit den neuen Medien, die zumindest im (natur- und ingenieurs-)wissenschaftlichen Leben seit Jahren schon präsent sind. Der Roman spielt in der Jetztzeit - auch wenn einigen kritischen Anmerkungen zum US-amerikanischen Staatsoberhaupt ("Der Präsident ist ein Scheißer", Seite 397) anzumerken ist, dass wir uns im Roman wohl eher unter der Bush-Administration befinden. Aber der Repräsentant des angesehenen Smithsonian Instituts hat anscheinend keinerlei Versuche gemacht, den Preisträger, den er für einen Lehrstuhlinhaber hält, im Internet zu recherchieren. Colleges und Universitäten besitzen Homepages, auf denen Informationen zum Lehr- und Forschungspersonal zu finden sind - und das schon seit Jahren. Auch scheint T.S. selbst keinerlei Neigung bzw. Zugang zum Internet zu besitzen, da es doch auch speziell für ihn eine ungeheuere Bereicherung seines wissenschaftlichen Horizonts mit einer Unmenge von Daten- und Kartenmaterial darstellen würde, ganz zu schweigen von den Möglichkeiten, seine eigenen Arbeiten zu veröffentlichen. Natürlich ist es wahrscheinlich, dass eine Farmerfamilie im mittleren Westen ohne Kabelfernsehanschluss auch nicht über einen Breitbandinternetanschluss zu Hause verfügt (so spielen T.S. und sein Bruder noch auf einem alten Apple IIGS Computerspiele...). Aber zumindest die wissenschaftlich arbeitende Mutter, die Schule oder aber Dr. Yorn als T.S. wissenschaftlicher Ziehvater sollten das Internet nutzen. Wahrscheinlicher ist es aber eher, dass der Autor selbst keine große Internet-Affinität besitzt. T.S. selbst mag das Arbeiten mit dem Computer nicht und zieht das Schöpferische und Gestaltende seiner zeichnerischen Begabung dem Programmieren vor, "...am Computer fühlte ich mich nur wie ein Handlanger", Seite 164. Aber abgesehen von dieser - in meinen Augen - kleinen Ungereimtheit, habe ich die Lektüre dieses ungewöhnlichen und abenteuerlich spannenden Romans sehr genossen!
"Mittelmäßigkeit ist eine Pilzkrankheit des Geistes...(Dr. Clair)" (Seite 354)
Fazit: Ein ungewöhnlich ausgestatteter Roman, der uns mitnimmt auf eine wunderbare Reise und uns unsere Welt aus einer altklug kindlichen Perspektive zeigt, in der eine nie versiegende Neugier steckt, die wir uns alle zu eigen machen sollten. Sicher wieder einmal nichts für jedermann, aber trotzdem LESEN!

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Mittwoch, 23. Dezember 2009

Ende gut, alles gut - Jane Austen "Emma"

Nein, um Jane Austens Romane zu lesen und zu lieben muss man nicht weiblichen Geschlechts oder gar schwul sein. Im Gegenteil eröffnen sie doch auch dem geneigten männlichen Leser ungeahnte Einblicke in die Lebenswelt des frühen 19. Jahrhunderts und lassen uns Teil haben an Lebens-, Liebes- und Beziehungsmüh einer lange untergegangenen Epoche, deren Nachwirkungen aber auch noch in unserer heutigen Zeit ihre Gültigkeit besitzen und vor allen Dingen eines tun: auf humorvoll ironische Weise zu unterhalten.

Als aller erstes war ich bereits vor Jahren begeistert, als ich Jane Austens "Stolz und Vorurteil" in die Hände bekam. Obwohl ich zuerst eine dröge Erzählung um 'verzweifelte Liebesmüh' erwartete, war ich schnell eines Besseren belehrt und Jane Austen errang in meinem Bücherregal einen bevorzugten Platz, den sie auch mit dem erst später gelesenen "Kloster Northanger" behaupten konnte (zugegebenermaßen hat das Frühwerk des "Klosters Northanger" - ebenfalls hier im biblionomicon besprochen - noch lange nicht das Format von "Stolz und Vorurteil", trägt aber bereits die typischen augenzwinkernden Züge Jane Austens). Aber kommen wir zu "Emma".
"Emma Woodhouse, hübsch, klug und reich, im Besitz eines gemütlichen Heims sowie einer glücklichen Veranlagung, vereinigte sichtlich einige der besten Gaben des Lebens auf sich. Sie war schon fast 21 Jahre auf der Welt, ohne je wirklich Schweres oder Beunruhigendes erlebt zu haben."
So startet der Roman mit der Vorstellung seiner Protagonistin, einer energischen jungen Frau, um die sich herum ein selbstverschuldetes Labyrinth aus Irrungen und Wirrungen um Liebe und Ehe entfaltet. Emma ist reichlich verwöhnt und überschätzt vor allem Ihre Menschenkenntnis verbunden mit der (Un-)Fähigkeit, Freunde und Bekannte mit dem ihrer Meinung nach passenden Gegenstück verkuppeln zu wollen. So mischt sie sich wiederholt in das Leben anderer ein, um prompt auch immer wieder Schiffbruch zu erleiden. Fehlinterpretationen und Missverständnisse sorgen immer wieder für vermeidbare Komplikationen sowohl in ihrem Leben als auch dem ihrer Freunde und Bekannten.

Emma lebt zusammen mit ihrem hypochondrischen Vater, der stets um jedes bisschen Zugluft besorgt ist und damit sich und anderen das Leben schwer macht. George Knightley ("Mr. Knightley"), der Freund und Nachbar ihres Vaters, ist der einzige, dessen Kritik sie akzeptiert und dessen väterliche Freundschaft sie ohne Vorbehalte genießt. Sein Bruder John Knightley ist mit Emmas älterer Schwester Isabella verheiratet und lebt mit seiner Familie in London, das mehr als eine Tagesreise entfernt liegt. Der Roman beginnt mit der Hochzeit von Miss Taylor, Emmas Freundin und früherer Gouvernante, von nun an Mrs. Weston. War es doch Emma, die ihrer Freundin den zukünftigen Gatten vorgestellt hatte, so lässt sie diese glückliche Vermittlung an ihre Fähigkeiten als "Ehestifterin" und Kupplerin glauben, die allerdings in Zukunft so ganz und gar nicht von Erfolg gekrönt sein werden.

Zahlreiche weitere Figuren werden von Jane Austen in liebevoller und detailverliebter Weise eingeführt, in deren Leben sich Emma früher oder später einmischen wird. Darunter auch ihre Freundin Harriet Smith, illegitimer Sproß eines reichen Kaufmanns, der sie fälschlicherweise einredet, dass der in sie verliebte Gentleman-Farmer Mr. Martin unter ihrer Würde und vor allen Dingen unter ihrem Stand wäre. Dann lernen wir noch Jane Fairfax kennen, die bei ihrer in ärmlichen Verhältnissen lebenden Tante Miss Bates lebt, und die noch zu Emmas vermeintlicher Rivalin werden soll, als es gilt die Gunst von Frank Churchill zu erwerben, dem Stiefsohn ihrer Freundin Mrs. Weston.

So entspinnt sich zwischen den liebevoll charakterisierten Figuren ein von Irrungen und Wirrungen getragener Reigen um Liebe und Ehe, bei dem sich aber dann doch wie bei Jane Austen üblich am Ende alles "zum Guten" wenden soll. Was das aber konkret heißt, das muss der geneigte Leser bzw. die geneigte Leserin am besten selbst herausfinden. Ich kann versprechen, dass dieser über 500 engbedruckte Seiten lange Roman stets unterhält, zum Schmunzeln anregt und stellenweise auch fesseln kann. Überwiegend bedient sich Jane Austen des Dialogs als treffendes Stilmittel ihrer Darstellung - auch wenn sich beim männlichen Leser dadurch vielleicht so manches Vorurteil über typisch "weibliche Geschwätzigkeit" bestätigt finden mag. Aber es ist ja auch gerade diese präzise funkelnde und geschliffene Sprache, die in den Dialogen zum Vorschein kommt, und die von der Übersetzerin Charlotte Gräfin von Klinkowstroem so wundervoll getroffen wurde. Sie verschaffen den Figuren auf subtile Weise feingliedrige und wohlüberlegte Ecken und Kanten und heben so den Roman auf das Niveau eines zeitlosen Klassikers und Meisterwerks. Auch die zeitgenössischen Illustrationen von Hugh Thompson, die einer Ausgabe von 1896 entnommen sind, unterstützen das Gefühl beim Leser, direkt in eine Epoche entführt zu werden, die ihm in ungewohnt plastischer und lebendiger Weise vor Augen geführt wird - auch wenn es sich "nur" um die (heile) Welt des damaligen englischen (Groß-)bürgertums handelt.

Interessant ist in diesem Roman Jane Austens auch, dass Emma im Gegensatz zu den Hauptfiguren von "Stolz und Vorurteil" oder "Verstand und Gefühl" von Anfang an keinerlei Sorgen um ihre wirtschaftliche Zukunft haben muss. Dies ist auch der Grund dafür, warum sie eigentlich niemals heiraten möchte. Jane Fairfax als Nebenfigur dagegen folgt der für Austen üblichen Konstellation, da sie keinerlei Mittel besitzt und ihre Zukunft für sie entweder eine Anstellung als Gouvernante und Lehrerin bzw. eine finanziell aussichtsreiche Heirat vorsehen muss. Ebenfalls ungewöhnlich für Jane Austens Figuren ist es, dass sich bei Emma kaum romantische Gefühle breit machen - zumindest nicht bis Seite 484. Natürlich erkennt Emma, wenn auch spät, dass man sich nicht immer in das Liebesleben von Freunden und Bekannten einmischen sollte, insbesondere, wenn es einem an eigener Erfahrung darin mangelt.
"Sie hatte in ihrer unerträglichen Eitelkeit geglaubt, jedermanns geheimste Gefühle zu kennen, mit unverzeihlichem Hochmut versucht, die Geschicke anderer zu lenken. Es war klar geworden, daß sie sich rundum getäuscht, und nicht etwa nichts getan, sondern auch noch Schaden angerichtet hatte..."
Fazit: Die passende Lektüre für die Feiertage. Einfach abtauchen in Jane Austens Fabelwelt des frühen 19. Jahrhunderts und den Reigen der Gefühle miterleben, die stets auf ein wohliges und angenehmes Ende hoffen lassen. Eine sprachliche Pretiose, sicherlich nicht jedermanns Geschmack, aber auf alle Fälle etwas ganz besonderes.

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Sonntag, 6. Dezember 2009

Spätmittelalterliche Fortsetzungs-Soap - Ken Follet "Die Tore der Welt"

Eigentlich war ich mir gar nicht so sicher, ob ich das Buch überhaupt lesen sollte, aber nachdem es schon einmal im Bücherschrank meiner Mutter stand, beschloss ich doch nicht erst auf meinen Buchwunschzettel zu warten und habe mir kurzerhand den 1300 Seiten starken "Schmöker" ausgeliehen…

Zuerst einmal ist Ken Follets "Die Tore der Welt" ein ziemlich dickes Buch. Dies sollte aber niemanden abschrecken, denn trotzdem ich kaum Zeit zum Lesen hatte (wenn überhaupt, dann aktuell nur abends im Bett) kam ich in gut 3 Wochen locker durch. Aber lassen wir die technischen Details erst einmal bei Seite und konzentrieren wir uns auf den Inhalt...

Den Rahmen der Geschichte bildet wie im ersten Band "Die Säulen der Erde" die kleine Stadt Kingsbridge mit ihrem Kloster und der von Jack Builder, dem Protagonisten des ersten Bandes, erbauten Kathedrale. Seither sind fast 200 Jahre vergangen. Wieder treffen wir in den 'Toren der Welt' auf eine zumindest als sehr ähnliche zu bezeichnende Personenkonstellation: da haben wir die verarmte adelige Familie, deren Familienbande zurück bis zu Jack Builder reichen. Die Familie verliert aufgrund der Schuldenlast ihren Grundbesitz und wird zu "Mundlingen" der Priorei zu Kingsbridge. Während der jüngere Bruder Ralph, der im Folgenden die Rolle des arttypischen "Bad Guy" übernehmen wird, als Knappe zum Grafen von Shiring geschickt wird, um das Kriegshandwerk zu erlernen und zum Ritter ausgebildet zu werden, kommt der ältere Bruder Merthin (a.k.a. "Mr. Right") zu einem Zimmermann in die Lehre, um das Bauhandwerk zu erlernen.
Dann haben wir noch Caris, die Tochter eines reichen Wollhändlers und Ratsvorsitzenden aus Kingsbridge, die bereits als Kind mit Merthin Freundschaft schließt, sowie ihre Freundin Gwenda, Tochter eines armen Tunichtguts, der es sogar fertigbringt, seine Tochter aus reiner Profitgier an den Nächstbesten zu verkaufen.
Alle 4 werden als Kinder Zeuge eines Zwischenfalls im Wald nahe der Stadt, in der Thomas Langley, ein Ritter der Königin Isabella von zwei Bewaffneten gestellt wird und diese erschlägt. Während die anderen das Weite suchen können, bleibt Merthin zurück, hilft Langley gezwungenermaßen die Spuren zu verwischen und wird Zeuge, wie dieser einen Brief, der augenscheinlich die Ursache für seine Verfolgung war, im Wald vergräbt. Niemals darf Merthin dieses Geheimnis verraten, wenn ihm sein Leben lieb ist.

Die Zeit vergeht, Thomas Langley wird Mönch im Kloster von Kingsbridge und Merthin übereifriger Lehrling des stümperhaften Baumeisters Elfric, einem Günstling des erzkonservativen Priors Anthony. Wir lernen Caris' Cousin Godwyn kennen, der nach seinem Noviziat im Kloster zum Medizinstudium nach Oxford geschickt wird und nach seiner Rückkehr große Ambitionen auf den Posten des Priors hat, und der in dieser Position noch konservativer und verbissener als sein Vorgänger Anthony werden soll.

Werfen wir noch einen kurzen Blick die Frauen der Geschichte. Caris entwickelt Interesse an der Heilkunst. Natürlich sind ihr als Frau die Tore der Universität und eine Laufbahn als Arzt verwehrt, und was heilkundigen Frauen im Mittelalter oft blühte, wissen wir nur allzu genau. Gwenda liebt Wulfric, der aber in die attraktive Annette verschossen ist. Wulfric schlägt Ralph (dem Bad Guy) die Nase ein, weil dieser Annette auf dem Markt in Kingsbridge ein wenig zu tief in die Augen gesehen hat - und eine lebenslange Feindschaft nimmt ihren Lauf…

Den ganzen Rest dieser schier endlosen Geschichte erzählen zu wollen würde natürlich nicht nur den Rahmen des Blogeintrags sprengen, sondern auch einen Großteil des Lesevergnügens vorwegnehmen. Alles in allem zählt das Buch eher zur "leichtverdaulichen Kost". Die Charaktere haben kaum Spielraum zur Entwicklung von Ecken und Kanten. So kann man sich stets darauf verlassen, dass der Gute immer gut, der Böse aber auch immer böse ist. Persönlich ist mir das etwas zu einfach gestrickt, aber es geht bei diesem historischen Roman auch nicht um charakterliche Tiefgründe, sondern eher um eine actionreiche Handlung. Wieder stoßen wir auf dieselben Konflikte, die wir schon im Vorgängerband kennengelernt hatten. Der Graf von Shiring (böse…genauso wie sein Nachfolger), der Prior des Klosters (böse…genau wie sein Nachfolger und ebenfalls wieder dessen Nachfolger), während Merthin, Caris, Glenda und Wulfric stets das "gute" Personal darstellen. Es wird gegeneinander intrigiert und gestritten. Tumbe, mittelalterliche Klostermediziner streiten gegen durch Erfahrung kluge, heilkundige Nonnen, und am Ende hat die Kathedrale einen neuen Turm und die Stadt neben einer neuen Brücke auch noch diverse Hospitäler. Die sind auch bitter notwendig, denn die Pest kommt nach Kingsbridge und hält das ganze Land über weite Strecken des Romans in ihren tödlichen Klauen. Übrigens stets eine gute Gelegenheit, Personal auszutauschen, um den Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen, einige Knoten der Handlung auf weniger drastische, aber sicherlich anstrengendere Weise aufzulösen.

Der historische Kolorit ist ebenfalls leichtverdaulich, geschichtliche Hintergründe werden auf ein notwendiges, aber für meinen Geschmack nicht wirklich hinreichendes Minimum reduziert. Ein Follet ist eben kein Eco (wobei letzterer, wie mir ein Historikerkollege einmal erzählte, zu jeder Gelegenheit gerne auch als Primadonna behandelt werden möchte). Aber diesen Anspruch hat Herr Follet bestimmt auch nicht, verkauft sich das Buch doch trotzdem bzw. wahrscheinlich genau deswegen großartig. Alles in allem war es für mich eine willkommene, leicht und unbeschwert zu lesende Abwechslung, der ich dank zahlreicher Cliffhanger viele spannende Abende verdanke. Doch über eine Sache habe ich mich doch öfters ärgern müssen. Den Figuren werden manchmal Gedankengänge in den Kopf gelegt, die wirklich nicht ins 14. Jahrhundert passen, sondern deutlich von Aufklärung, Feminismus und Emanzipation geprägt sind. Zwar ist es nicht gänzlich unmöglich, dass ein Mensch des Mittelalters in dieser Weise gedacht haben soll, aber eben doch sehr, sehr, sehr unwahrscheinlich...

Fazit: kurzweilige Unterhaltung mit einem Minimum an zeithistorischen Kolorit, dafür ganz viel Liebe, Tragik und Intrigen. Für den Urlaub, den Strand oder einfach zum Entspannen gut geeignet hält es einer kritischen Betrachtung jedoch kaum stand.

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