Sonntag, 27. Januar 2008

Schein oder Sein - Ian McEwan: Abbitte

Alles ist nur eine Frage des Standpunkts. Eine Frage des Blickwinkels und des sich daraus ergebenden Kontextes. So kommt es auch, dass das Schicksal zweier Menschen einen dramatisch anderen Verlauf nimmt, da vom Standpunkt eines Kindes aus gesehen, die zugegebenermassen unglückliche Verkettung der Umstände und Dinge 'auf 'falsche' Weise interpretiert wurden.

Briony Tallis ist der Name des Mädchens, das die Schuld an der ganzen 'Misere' trägt, die sich im Verlauf der Handlung von Ian McEwans Roman 'Abbitte' ergibt. Die Handlung spielt in den 30er Jahren der Vorkriegszeit in England. Wir erleben einen Sommertag auf dem Anwesen der Familie Tallis. Briony verzweifelt an den Vorbereitungen der Inszenierung eines selbstgeschriebenen Theaterstücks (ein kitschiges und naives Ritter-rettet-und-heiratet-schöne-Maid-Drama), das anlässlich des Besuchs ihres Bruders Leon von Briony, ihren beiden Cousins und ihrer Cousine Lola aufgeführt werden soll. Aber Briony hat sich zu viel vorgenommen. Lola und ihre beiden Brüder wurden bei der Familie Tallis untergebracht, da sich ihre Eltern gerade in der Trennungsphase befinden. Dementsprechend angespannt stellt sich das Nervenkostüm der Kinder dar und Briony muss schließlich ihre Pläne für den Abend aufgeben. Fau Tallis, Brionys Mutter, liegt mit Migräne im Bett und verfolgt die Vorgänge im Haus blind im Dunkeln und ausschließlich aus den Geräuschen heraus, die sie von ihrer Ruhestätte wahrnimmt. Brionys Vater, ein hoher Regierungsangestellter, verbringt seine Tage in London, vermutlich mit einer Geliebten.

Von ihrem Zimmer aus beobachtet Briony eine Szene am Brunnen im Garten zwischen ihrer älteren Schwester Cecilia und Robby, dem Sohn einer Hausangestellten. Cecilia möchte eine kostbare, ererbte Vase am Brunnen mit Wasser füllen, die im Laufe des Disputs mit Robby (der schon lange in Cecilia verliebt ist) zu Bruch geht. Cecilia lehnt Robbies weitere Hilfe entschieden ab, und entledigt sich zur Bergung der kostbaren Scherben ihrer Kleidung, um in nahezu durchsichtiger Unterwäsche in den Brunnen zu steigen und unterzutauchen. In Brionys überspannter Phantasie gibt es für das Gesehene zunächst keine Erklärung.

Auch Robbie, der zusammen mit den Tallis-Kindern Cecilia, Briony und Leon aufgewachsen ist, ist zum Abendessen im Hause Tallis eingeladen. Um sich zu entschuldigen will Robby einen Brief schreiben, den er Cecilia noch vor dem Abend zukommen lassen will. Aber er tippt auf seiner Schreibmaschine nicht nur einen Entschuldigungsbrief. Die erste Fassung vielmehr ist in kurzen, nahezu brutalen Worten Ausdruck seines Verlangens und seiner Begierde nach Cecilia. Natürlich verwirft er diesen Brief und tippt noch eine gesellschaftlich 'korrekte' Version. Aber mit der Verwechslung der beiden Briefe nimmt das Drama seinen Lauf.

Auf dem Weg vom Gärtnerhaus zum Herrschaftshaus trifft Robbie Briony und übergibt ihr den Brief an ihre Schwester. Aber Briony öffnet den Brief und ist von seinem Inhalt schockiert. Robbie erscheint ihr als 'gefährliches Monster', das gestoppt werden muss. Aber sie gibt den Brief ihrer Schwester. Anstelle sich schockiert abzuwenden, findet sich Cecilia in ihrer Liebe zu Robbie bestätigt...auch wenn dieser Mesalliance keine große Zukunft beschieden sein wird. Währenddessen beginnt das Abendessen. Zu Gast ist auch noch ein Freund Leons, ein steinreicher Schokoladenfabrikant. Aber da sind auch noch die Zwillinge und Lola. Aus Verzweiflung über die bevorstehende Trennung ihrer Eltern beschließen die Zwillinge fortzulaufen und die abendliche Gesellschaft bricht zu einer Suchaktion auf, in deren Verlauf es zur Katastrophe kommt. Lola wird vergewaltigt und Briony glaubt - auch wenn sie den Täter nicht wirklich erkennen kann, dass Robbie, das 'Monster', der Täter sein muss.

Robbie wird verhaftet, Cecilia bricht mit ihrer Familie, Robbie wird als einfacher Soldat in den Kriegsdienst verpflichtet. Und hier wirft uns der Autor direkt in das von den Deutschen eroberte Frankreich. Die englische Armee befindet sich im verzweifelten Rückzug nach Dünnkirchen und Robbie erlebt das Grauen des Krieges.Inzwischen ist auch Briony erwachsen geworden. Anstelle wie ihre Schwester zu studieren, verpflichtet sie sich als Krankenschwester.....um 'Abbitte' zu leisten. Auch sie hat erkannt, dass sie mit ihrer falschen Aussage damals ein großes Unglück heraufbeschworen hat.....

Natürlich werde ich hier nicht verraten, wie und ob sich der Knoten löst und wie die Geschichte enden wird. Ian McEwan ist auf alle Fälle ein bemerkenswerter Roman gelungen. Das besondere daran war für mich die Darstellung des Geschehenen aus vielen unterschiedlichen Perspektiven. Kleine Indizien bilden für alle Beteiligten einen Kontext, der das Gesehene in völlig unterschiedlichem Licht erscheinen lässt. McEwans Figuren sind fein und mit großer Sorgfalt gezeichnet. Seine Sprache ist anspruchsvoll und wunderschön zu lesen (vielen Dank an die Übersetzer!). Und die Geschichte zieht einen schon nach wenigen Seiten ganz in ihren Bann. Der Leser fiebert mit den Figuren mit, versucht das Geheimnis dieser einen Nacht zu ergründen aus den Wahrnehmungen und Eindrücken der Beteiligten und versucht zu verstehen. Nicht umsonst gewann die Verfilmung kürzlich einen Golden Globe und errang eine Oscar-Nominierung.

Fazit: Eine großartig erzählte Geschichte, aber Vorsicht! Wer einfache und leicht zu lesende Lektüre erwartet, der muss sich hier schon ein wenig anstrengen. Dafür wird man aber mit einem Leseerlebnis erster Güte belohnt. Ein Roman, wie ich ihn schon lange nicht mehr gelesen habe...

Links:

Donnerstag, 24. Januar 2008

Kurze Kulturgeschichte des Lesens

Du bist, was Du liest. Zumindest möchte uns das die Verlagsindustrie glauben machen und heizt dazu die Leselust (wohl besser die Kauflust) ihrer Konsumenten an. Lesen ist heute natürlich "Lifestyle", d.h. die einen schmücken -- wie schon der Bildungsbürger früherer Jahrhunderte -- ihre Regale mit gewichtigen, aber oft ungelesenen Meisterwerken, die anderen stellen sich die aktuellen Bestseller ins Regal, um den Eindruck des intellektuellen, fortschrittlichen, kultivierten, hippen, zeitkritischen, emanzipierten oder einfach nur informierten Zeitgenossen zu erwecken.....und der damit verbundene Geschmack der 'Massen', der kann ja nicht so sehr daneben liegen.... Aber abgesehen davon, dass heute mehr Bücher gedruckt und verkauft werden, als je zuvor in der Menschheitsgeschichte, was wird denn tatsächlich noch gelesen....und wie lesen wir überhaupt?

Lesen heute orientiert sich -- und das weiss jeder aus eigener Erfahrung -- oftmals an anderen antrainierten Konsumgewohnheiten. Das Massenmedium Fernsehen mit seinen hunderten Kanälen wird heute anders konsumiert als zu der Zeit, als nur drei Kanäle zur Auswahl standen. Das 'Zappen' steht im Vordergrund und so haben wir auch das Lesen auf unzählige kleinste Happen aufgeteilt, die wir uns in öffentlichen Verkehrsmitteln, vor dem Zubettgehen oder in anderen spärlichen 'freien' Minuten zu Gemüte führen. Ein Buch 'am Stück' durchzulesen ist ein Luxus, den wir uns höchstens noch im Urlaub leisten können (außer, wir sind Lektor und werden dafür bezahlt). Aber das Lesen, wie wir es heute kennen, war nicht immer so, sonder hat sich im Laufe der Geschichte mehr und mehr gewandelt. Grund genug, heute einmal einen kurzen Blick auf die Kulturgeschichte des Lesens zu werfen....


Ganz anders als wir es heute gewohnt sind, leise und im Stillen für uns alleine zu lesen, liegen die Ursprünge unserer an sich bürgerlichen Lesekultur im rezitativen, lauten Vorlesen. So war es zumindest seit der Antike im hellenistischen Zeitalter um das 3./4. Jahrhundert v. Chr. üblich. Zuvor galten Schriften höchstwahrscheinlich ausschließlich als reine Gedächtnisstütze. Die griechischen und römische Autoren der Antike beschreiben uns anschaulich die damalige Praxis eines langsamen und lauten Vorlesens, das aber aller Wahrscheinlichkeit nach dem Lesen 'in Gesellschaft', d.h. zusammen mit anderen vorbehalten war.
So galt lange Zeit eine Anekdote aus den Bekenntnissen des hl. Augustinus als Beleg dafür, dass das individuelle, leise Lesen nicht als 'normal' galt. Augustinus berichtet, dass er seinen Mentor, den Bischof Ambrosius beim leisen Lesen ertappt hätte, "wobei dessen Augen über die Zeilen geglitten seien, die Stimme jedoch habe geschwiegen (vox autem et lingua quiescebant)". Er drückt sein Erstaunen darüber aus und sucht nach Erklärungen. Allerdings gilt es heute immer noch als umstritten, ob Augustinus sich über das leise Lesen an sich oder nur darüber wundert, dass Ambrosius in Gegenwart seiner Schüler leise liest, obwohl diese sich von ihm Anweisung und Leitung erhofften.

Erst ab dem Hochmittelalter tritt eindeutig die Wende hin zum stillen, individualisierten Lesen ein. Einige Autoren stellen zwischen diesem stillen Lesen und den in diese Zeit fallenden, ersten Universitätsgründungen einen Zusammenhang her. Nicht nur, dass man durch das stille Lesen andere Kommilitonen in ihrer Arbeit nicht mehr stört, wichtiger vielleicht war die Tatsache, dass man niemandem mehr preisgeben musste, was man las.

In die Zeit des Spätmittelalters fällt auch die Erfindung der ersten Lesebrillen.
Waren bis zu diesem Zeitpunkt ältere Zeitgenossen auf das Wohlwollen und Vorlesen durch die Jüngeren angewiesen, konnten sie sich jetzt mit der neuen Sehhilfe ausgestattet, wieder selbst an das Lesen der Schriftwerke machen. In der Regel wurden Bücher zu dieser Zeit in lateinischer Sprache geschrieben. In der jeweiligen Volkssprache geschriebene Bücher bildeten eine rare Ausnahme. Daher zählten zu den ersten eifrigen Lesern der Stand der Geistlichkeit, da diese sich des Lateinischen für die gesamte Kirchenliturgie bedienten. Erst ab dem 16. Jahrhundert konnte sich langsam das Publizieren landessprachlicher Werke durchsetzen.

Danach setzte sich das Lesen zuerst in den Städten durch. Kaufleute, Akademiker und Juristen sahen es als eines ihrer Privilegien an, das sie vor der 'tumben' Landbevölkerung auszeichnete. Allerdings las man nur wenige Bücher, diese aber dafür oft ein Leben lang immer wieder. Zum bevorzugten Lesestoff zählte dabei natürlich besonders die Bibellektüre neben anderen erbaulichen Werken, denen vor allen Dingen eine auf das eigene Leben anwendbare Moral abgewonnen werden sollte.

Erst im 18. Jahrhundert kann ein Trend weg von den religiösen Titeln hin zur Belletristik (von [franz.] les belles lettres) beobachtet werden. Der Lesegeschmack veränderte sich hin zu weltlicher Thematik und es kam zu ersten Fällen attestierter "Lesewut", ein Übergang von der vormals intensiven Lektüre hin zu extensivem Leseverhalten, das im Lesehabitus des Bildungsbürgertums im 19. Jahrhundert seinen Höhepunkt findet.

Doch die Monopolstellung des Buches beginnt zunehmend zu schwinden.
Neue Medien -- Fotografie und Phonograph -- erscheinen ab Mitte des 19. Jahrhunderts auf der Bildfläche, das Kino, Radio und insbesondere das Fernsehen schwächen zunehmend die Leselust. Die Vormacht des Papiers scheint fast vergessen, auch wenn heute mehr neue Bücher pro Jahr verlegt werden als jemals zuvor.

Weiterführende Literatur:

  • Hans-Joachim Griep: Geschichte des Lesens: von den Anfängen bis Gutenberg. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2005.

  • Alberto Manguel: Eine Geschichte des Lesens. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2000.

  • Peter Stein: Schriftkultur. Eine Geschichte des Schreibens und Lesens. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2006./li>


Links:

Samstag, 19. Januar 2008

Zitierte Postmoderne - Marisha Pessl: Die alltägliche Physik des Unglücks

Eigentlich haben wir das alles doch schon mal irgendwo gelesen. Nein halt - das soll auf keinen Fall ein Verriss werden. Es geht vielmehr um die Tatsache, "dass jede Geschichte bereits schon mal erzählt" wurde und wenn wir eine neue Geschichte lesen, erkennen wir diese Versatzstücke wieder, aus denen der Autor schöpft, oder in denen wir eine andere Geschichte zu erkennen glauben, die wir schon gelesen haben und letztendlich erkennen wir vielleicht sogar uns selbst.

Marisha Pessls Erstlingswerk "Die alltägliche Physik des Unglücks" ist eine wahre Schatzgrube an Zitaten und Referenzen - und das keinesfalls auf versteckte Art und Weise. Nein, Marisha Pessl folgt vielmehr dem Muster wissenschaftlicher Arbeiten und zitiert und referenziert was das Zeug hält. Abbildungen (selbstgezeichnete) sind sauber durchnummeriert und im Text wird jeweils darauf Bezug genommen und bald jeder dritte Satz endet mit einer (geklammerten) bibliografischen Angabe. Das klingt nicht unbedingt nach Lesevergnügen, sondern vielmehr nach einem anstrengenden und ermüdenden, immerwährenden Vor- und Zurück. Aber halt (schon wieder!), das Buch von Marisha Pessl ist wirklich etwas Besonderes! ... und dazu ein Lesevergnügen aller erster Güte!!

Aber worum geht es eigentlich? Blue van Meer (natürlich erinnert mich bereits der Name an Jan Vermer, diesen barocken Ausnahmemaler, der mit seiner Exaktheit der Lichtführung, der Farben und der Details jedesmal Erstaunen hervorruft...schon wieder ein Zitat) Blue van Meer ist ein Teenager im letzten Highschool-Jahr. Ihre Mutter starb bei einem tragischen Unfall als Blue noch ein kleines Kind war. Seither zieht sie mit ihrem Vater - Universitätsprofessor und Herzensbrecher - von einer Gastprofessur zur nächsten quer durch die Vereinigten Staaten. Natürlich fragt man sich, warum dieses ständige Umherziehen denn wirklich nötig sei.....aber wir werden sehen. Gleich zu Beginn erfahren wir -- eigentlich ist der Roman ja als Rückblick angelegt -- vom Tod einer Freundin -- Hannah Schneider -- die sich (anscheinend) selbst erhängt hat. Warum es soweit kam -- eigentlich werden wir es nie "vollständig" erklären können, aber wir werden Zeuge der Ereignisse aus Blues Sicht. Alles beginnt wie immer. Stockton, North Carolina, der Einzug in ein neues Haus, der erste Tag in der neuen Schule, Blue ist wieder einmal "die Neue". Allerdings mit einer ganzen Menge Vorschusslorbeeren, schließlich war sie bislang immer Klassenbeste. Nicht ohne Grund, denn wer hat schon einen Professor für Politikwissenschaft zum Vater, der die meiste Zeit damit verbringt, mit seiner Tochter durchs Land zu fahren und mit ihr die Literaturlisten seiner Vorlesungen und die Arbeiten seiner Studenten zu besprechen. Schon am ersten Tag in Stockton begegnen die beiden Hannah in einem Supermarkt. Wie sich später herausstellt, unterrichtet Hannah Filmgeschichte (wieder Stoff für endlose Zitate) an Blues Schule. Hanna hat einen illustren kleinen Zirkel von Schülern um sich geschart, die "Bluebloods", in den sie Blue einführt. Eigentlich passiert erst einmal recht herzlich wenig und man hat schon das Gefühl, man wäre in einer etwas besseren Version von "Beverly Hills 90210" gelandet, immer mit der Tendenz hin zu einer Art "Der Fänger im Roggen" (jawohl....schon wieder bibliografische Referenzen).

Aber bald schon wird alles anders und es gibt den ersten Toten, der Kopfunter in einem Swimmingpool treibt (...kennt Ihr den Anfang von Billy Wilders "Boulevard der Dämmerung"?). Und ab jetzt wird alles mysteriös. Niemand ist eigentlich mehr ganz der, der er vorgibt zu sein. Jeder hat ein Geheimnis. Blues Freunde, Hannah....und natürlich auch Blues Vater. Alles gipfelt letztendlich in einem Camping-Ausflug der "Bluebloods" in einem Naturpark mit dem eingangs geschilderte Selbstmord Hannahs (oder war es etwa Mord...?!). Die Bluebloods machen schließlich Blue für den Tod Hannahs verantwortlich, aber gegen Ende gelingt es Blue, Irrungen und Wirrungen (zumindest teilweise) aufzulösen....und irgendwie passt dann auch alles wieder zueinander. Wie.....das sei an dieser Stelle natürlich nicht verraten.

Marisha Pessls Buch besticht durch seine sprachliche Qualität, die ihre deutsche Übersetzerin Adelheid Zöfel kongenial umzusetzen verstand. Statt einem Inhaltsverzeichnis der einzelnen Kapitel steht dem Buch eine Lektüreliste voran. Die einzelnen Kapitel des Buches sind mit den Büchern der Lektüreliste überschrieben. Ob man dabei die jeweiligen Bücher als Voraussetzung zum Verständnis der Kapitel betrachtet oder als interessante Ergänzung sei jedem Leser selbst überlassen. Zuminest besteht natürlich ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen Kapitelüberschrift, Kapitelinhalt und dem jeweiligen Buchinhalt, sodass die Lektüreliste auf alle Fälle Lust auf das Lesen der vielleicht noch unbekannten literarischen Werke macht. Um dem Stil treu zu bleiben endet das Buch mit einem "Examen", das in Form eines Tests die wichtigsten Teile des Inhalt zusammenfasst und den Leser (humorvoll) auf die Probe stellt. Allerdings übertreibt es Frau Pessl manchmal mit ihren Metaphern, die eher an eine Fleissarbeit eines Kurses in "kreativem Schreiben" erinnern.
Mit der gleichen Unschuld, mit der sich die Trojaner um das eigenartige hölzerne Pferd scharten, das vor den Toren der Stadt stand, um dieses Wunderwerk der Handwerkskunst zu bestaunen, fuhr Hannah am Freitag, dem 26. März, unseren gelben Mietwagen auf den ungepflegten Parkplatz des Sunset Views Encampment und parkte auf Nummer 52.

Wenn man sich erst einmal auf Marisha Pessls Stil eingelassen hat, möchte man das Buch nicht mehr aus der Hand legen. Mir hat es auf alle Fälle einige spannende Tage in den Weihnachtsferien verschafft.

Fazit: Ein außergewöhnliches Buch, das den geneigten Leser voll in seinen Bann ziehen kann. Ein Zitatenfeuerwerk, das umso mehr gefällt, je mehr der zitierten Werke man tatsächlich kennt, und ein Werk, das Lust auf mehr macht und dem Leser auch gleich die entsprechende Lektüreliste (siehe Links) mitliefert. Lesen!

Links (Lektüreliste in Auswahl...):

Samstag, 5. Januar 2008

Goldrausch, Emanzipation und kulturelles Durcheinander -- Isabel Allende: Fortunas Tochter

Die Zeit um die Weihnachtsfeiertage herum lässt einem -- neben dem allgegenwärtigen Rummel mit der Verwandtschaft -- reichlich Zeit für die Lektüre. Das Buch, um das sich mein heutiger Beitrag dreht, hatte ich schon in der Vorweihnachtswoche angefangen und an den Feiertagen beendet, wobei es eigentlich dazu einlädt, die ganze Geschichte möglichst an einem Stück oder verteilt auf nur wenige Tage zu lesen...

Isabel Allende sollte ja nun jedem zumindest dem Namen nach ein Begriff sein. Die Nichte des ehemaligen, chilenischen Staatspräsidenten Salvador Allende gilt als eine der erfolgreichsten und meistgelesenen lateinamerikanischen Autoren. Für mich war "Fortunas Tochter" eine Premiere, denn zuvor kannte ich Allendes Romane nur aus dem Bücherregal meiner Mutter und stempelte diese generell erst einmal als "Frauenliteratur" ab. Daran konnte auch die wirklich packende und preisgekrönte Verfilmung des "Geisterhauses" (mit einem fabelhaften Jeremy Irons) nichts ändern. Aber, "Fortunas Tochter" kam kurz vor Weihnachten wieder zurück in unsere vier Wände, nachdem unsere Freundin Ellen damit recht stürmische Urlaubstage (Hurrican Noel) in der Dominikanischen Republik verbracht hatte. Nach den englischen Kurzgeschichten kam mir eine langer, unterhaltsam erscheinender, historischer Roman zur Abwechslung gerade recht.

Die Handlung beginnt in Valparaiso in Chile in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das Findelkind Eliza wird von den Geschwistern Jeremy und Rose Sommers aufgenommen und erfährt eine wohlbehütete Erziehung. Bereits hier wächst Eliza zwischen den Kulturen auf. Auf der einen Seite die beiden englischen Emigranten: Jeremy, der lokale Repräsentant der British Trading Company, der für sich beschlossen hat, das Leben als Junggeselle zusammen mit seiner Schwester Rose im selbstgewählten Exil zu verbringen, nachdem Rose eine stürmische Liebesaffäre mit einem bekannten (aber verheirateten) Opernsänger zum Anlass genommen hatte, unverheiratet dem Schicksal einer alten Jungfer entgegenzusehen und jeden noch so attraktiven Freier abzuweisen. Rose nimmt das vermeintliche Indio-Mischlingsbaby Eliza bei sich auf Mama Fresia, die eingeborene Köchin auf der anderen Seite, sorgt dafür, dass Eliza die Welt ihres indianischen Ursprungs nicht vergisst.
Als eines Tages der kleine Angestellte der British Trading Company Joaquin Andieta eine Lieferung zu den Sommers überwacht, verliebt sich die 17-jährige Eliza in den mittellosen Jüngling...und es kommt, wie es kommen musste. Eliza wird schwanger, ohne dass Andieta etwas davon erfährt (...natürlich war er daran beteiligt...), da er versucht, sein Glück im gerade ausgebrochenen kalifornischen Goldrausch zu machen. Zu einer versuchten Abtreibung kommt es nicht und in ihrer Verzweiflung setzt Eliza alles auf eine Karte, um heimlich ihrem Geliebten in das verheissungsvolle Goldland zu folgen.
Die nächste Kultur, auf der wir im Buch stoßen wird von dem jungen, chinesischen Heilkundigen Tao Chien verkörpert, der seine früh seine Frau verloren hat und auf abenteuerliche Weise zum Koch auf einem Hochseeschiff "entführt" wurde. Eliza gelingt es, ihn anzuheuern, damit er ihr als blinden Passagier die heimliche Passage nach Kalifornien ermöglicht, wo sie sich auf die Suche nach ihrem Geliebten begeben will. Doch San Franzisko, der Schmelztigel, in dem 1848 all die Glücksritter der unterschiedlichsten Kulturen zusammenkommen, ist ein Tollhaus. Frauen gelten als eine Art Weltwunder, und um nicht Gefahr zu laufen, entdeckt zu werden, verkleidet sich Eliza als Mann und beginnt zunächst zusammen mit Tap Cjien ihre nahezu aussichtslose Suche. Weitere Stationen ihrer Reise sind gerade entstehende Goldgräberstädte und ein fahrendes Bordell in dem sie die Aufgabe des Klavierspielers und Koch übernimmt, bis sie nach langen Irrungen und Wirrungen wieder zurück nach San Franzisko findet, wo Tao Chien als Arzt praktiziert und Eliza ein Restaurant eröffnen wird.
Ob sie ihren Joaquin finden wird und wie die Geschichte endet, wird an dieser Stelle natürlich nicht verraten.

Also, das Buch lässt einen wirklich an der Geschichte dranbleiben. Isabell Allende versteht etwas von der Erzählkunst, die ich auch schon bei einigen anderen lateinamerikanischen Autoren entdeckt habe (allen voran Mario Vargas Llossa, der mit seiner Tante Julia (Tante Julia und der Kunstschreiber, -> Lesebefehl!!) ein unvergessliches und augenzwinkerndes, abstruses und verwirrendes Meisterwerk geschaffen hat). Und Erzählen kann sie wirklich! Insbesondere die Schilderung der Wirren rund um den kalifornischen Goldrausch und die "forty-niner" haben mich in ihren Bann gezogen. Leider schafft sie es nicht, diesen Schwung bis ans Ende durchzuhalten. Das letzte Drittel des Romans erscheint vage, als hätte die Autorin keine rechte Lust mehr daran, ausführlich zu schildern, sondern als wäre sie nur noch bestrebt, die Geschichte endlich zu Ende zu bringen. Am Anfang nimmt sie sich noch die Zeit, die oft widersprüchlichen Facetten ihrer Figuren ausführlich zu charakterisieren. Gegen Ende jagt ein marginales Ereignis das andere, die zeitlichen Abstände der Kapitel werden immer größer. Aber trotz dieser Schwäche, macht die Lektüre dieses historischen Romans großen Spaß.

Mein Fazit: Ein prima Roman für eine regnerische und dunkle Woche, den man mit einer Tasse Tee und reichlich süßem Gebäck genießen kann. Zwar ist es nicht unbedingt der "große Wurf", aber es lohnt sich alle mal!

Links: