Donnerstag, 22. November 2007

Arthur Schnitzler meets Stanley Kubrick

Im Rahmen der Stanley Kubrick Reihe zeigt arte heute abend (20.40 uhr) Kubricks letzten Film 'Eyes Wide Shut'. Wie eigentlich bei allen Kubrick-Filmen spaltet auch dieser das Publikum und wie bei vielen anderen Kubrick-Filmen auch, hat sich der Regisseur ein überaus interesantes Werk der Weltliteratur herausgepickt und verfilmt: Arthur Schnitzlers Traumnovelle.
Ich hatte schon einmal eine Kritik (allerdings in englischer Sprache) zu diesem Buch geschrieben, die ich anlässlich des heutigen Programms auf arte übersetzen (und überarbeiten) möchte.

Ich glaube, ich kam eigentlich nur auf die Idee, dieses Buch zu lesen, weil ich den Film damals im Kino gesehen hatte...aber wie schon so oft, nachdem ich das Buch gelesen hatte, musste ich feststellen, das das Buch eigentlich ja noch viel besser ist als der Film.

Ähnlich wie im Film dreht sich das Buch um ein Ehepaar, das allerdings im Wien der Jahrhundertwende, also zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebt. Der Ehemann ist von Beruf Arzt und die Geschichte startet auf einem Ball, den die beiden besuchen -- also ganz ähnlich wie im Film. Wieder zu Hause zurück, erzählt die Frau ihrem Gatten von einem Traum und von einem Zwischenfall während des letzten gemeinsamen Urlaubs. Im Hotel ihres Urlaubsort gab es einen Fremden, zu dem sich die Frau stark hingezogen fühlte...und -- so sagt sie -- er hätte nur ein einziges Wort sagen müssen und sie wäre mit ihm gegangen und hätte ihren Mann verlassen ohne Rücksicht auf irgendwelche Konsequenzen. Aber sie tat es (natürlich) nicht.
Der Arzt ist wie vor den Kopf gestoßen und kann diese Enthüllung von Seiten seiner Frau gar nicht fassen. Da wird er in das Haus eines Sterbenden gerufen, aber er kommt zu spät, sein Patient ist bereits verstorben. Als er wieder gehen will, eröffnet ihm die Tochter des Verstorbenen (mit Tränen der Trauer in den Augen und ihrem Verlobten wartend im Nachbarzimmer...), dass sie ihn liebt. Noch eine Enthüllung, die ihn sehr bewegt. Er wandert durch die nächtlichen Straßen Wiens und möchte noch nicht nach Hause gehen, immer noch in Gedanken auf irgendeine Art von "Rache" sinnend, wie er seiner Frau den "imaginären" Fehltritt heimzahlen könnte.

Er folgt einer Prostituierten in ihre Wohnung, aber bevor sie "zur Sache" kommen können, ist er schon wieder aufgebrochen. In einer Bar trifft er einen lange verscholenen alten Freund, der seinen Lebensunterhalt jetzt mit Klavierspielen verdient. Der erzählt ihm, dass er an einem geheimen Ort eingeladen sei, um dort Klavier zu spielen, und dass die Gesellschaft dort irgendwelche seltsamen Praktiken und Rituale vollführte. Der Arzt überredet seinen Freund, ihn in die Gesellschaft hineinzuschmuggeln. Allerdings benötigt er dazu eine Maske, um seine Identität zu verbergen. Also macht er sich auf den Weg (mitten in der Nacht), um in einem Geschäft eine Maske zu leihen (und wieder entspinnt sich eine obskure Geschichte um einen Geschäftsmann, der seine Tochter als Prostituierte verkauft..).
Letztendlich gelingt es dem Arzt mit Hilfe der Maske Zugang zur geheimen Gesellschaft zu erlangen, doch eine seltsam schöne (und überaus nackte) Frau erkennt ihn als Außenstehenden, der an diesem Ort nichts zu suchen hat. Sie warnt ihn, aber er läßt sich nicht einschüchtern. Als auch andere Mitglieder misstrauisch werden und er die Frage nach dem Passwort nicht zufriedenstellend beantworten kann, soll er "bestraft" werden. Doch die seltsame Schöne steht für ihn ein, die für ihn bestimmte Strafe auf sich zu nehmen.
Am nächsten Tag erfährt er von einem obskuren Mord an einer Adligen in einem Hotel letzte Nacht und er beschließt, auf eigene Faust herauszufinden, ob die beiden Fälle -- der Mord und die Bestrafung -- miteinander zusammenhängen.

..Ok, ich werde das Ende nicht verraten. Aber wer "Eyes Wide Shut" gesehen hat, der kann sich denken, wie das Buch ausgeht. Aber ich kann das Buch nur wärmstens empfehlen, insbesondere glaube ich, wem der Film gefällt, der wird das Buch erst recht lieben! Schnitzler ist ein Meister des Unbewußten und der Andeutung. So überlässt er es gerne dem Leser, sich selbst ein Bild von den geschilderten Umständen zu machen....und Kubrick verstand diese meisterhaft in Szene zu setzen. Wie bei jedem Film kann man auch hier behaupten, der Film sei nur eine ganz bestimmte Lesart des Regisseurs und nicht jeder ist vielleicht mit dessen Interpretation einverstanden. Kubrick's Umsetzung aber ist brilliant.....nur, ich kann Tom Cruise nun mal nicht leiden (der einzige Film, in dem ich ihn gut fand, war Magnolia...aber auch in diesem Film wurde er von Philip Seymour Hoffman an die Wand gespielt).

Fazit: Lest das Buch! Es eröffnet über Kubricks Film hinaus neue Möglichkeiten, wie eure Fantasie mehr Licht in diese seltsame und obskure Geschichte bringen könnte....Eine absolute Empfehlung. Dazu ist es auch nicht allzu dick, so dass man es bequem auf einer längeren Zugfahrt (oder an einem dieser langen Novemberabende) an einem Stück lesen kann...

Links:

Montag, 5. November 2007

Schön wie ein Traum - Michael Ondaatje 'Der englische Patient'

Ich glaube dies. Wenn wir denen begegnen, in die wir uns verlieben, hat unser Geist etwas von einem Historiker, ein wenig von einem Pedanten, der sich ein Zusammentreffen vorstellt oder sich an eines erinnert, bei dem der andere arglos seines Weges gegangen war ... Aber alle Teile des Körpers müssen für den anderen bereit sein, alle Atome müssen in eine Richtung drängen, damit Begehren entsteht. Ich habe jahrelang in der Wüste gelebt, und nun glaube ich an dergleichen.


Es stand schon lange im Regal, und endlich habe ich mich entschlossen es herauszuholen. Wir alle haben den Film gesehen, 9 Oscars (12 Nominierungen), und fast jeder war von der Wucht der Bilder und der wunderbaren Geschichte beeindruckt. Schwierige Situation, erst den Film gesehen zu haben und danach das Buch zu lesen. Jede Figur hat bereits ihr Gesicht, die Szenerie entsteht nicht beim Lesen, sondern wird wiedererkannt. Jeder Handlungsstrang wird mit den Bildern des Films automatisch synchronisiert. Trotzdem war dieses Buch wunderschön -- auch wenn sich die Handlung nicht geradelinig, sondern vielmehr in Kreisen und Spiralen um sich selbst entwickelt und das Lesen damit nicht einfacher macht.

Aber erst einmal kurz zur (eigentlich allbekannten) Handlung: Michael Ondaatje versetzt uns in die letzten Tage des Zweiten Weltkriegs. Vier Personen treffen sich in einer zerbombten toskanischen Villa, in der zuvor ein alliiertes Lazarett einquartiert war. Nach dem Abzug des Lazaretts bleibt die junge kanadische Krankenschwester Hannah mit einem nicht transportfähigen englischen Patienten, der bei einem Flugzeugabsturz in der Wüste Afrikas schwerste Verbrennungen erlitten hat, zurück. Nicht zufällig trifft auch dort David Caravaggio ein, ein alter Freund von Hannas Vater, dem als Spion der Alliierten von den Deutschen beide Daumen abgetrennt worden sind. Dazu gesellt sich später noch der indische Pionier Kirpal Singh -- genannt Kip -- der im Auftrag der britischen Armee Bomben entschärft.

Alle vier tragen sie sichtbare Spuren des Krieges mit sich und versuchen mit ihrer Vergangenheit zurecht zu kommen. Caravaggio glaubt die wahre Identität des englischen Patienten zu kennen und ihm diese unter Morphiumgaben zu entlocken. Er ist ein ungarischer Graf (Laszlo de Almásy -- den es tatsächlich gab), der für die Deutschen spionierte. Aber vielmehr kommt dabei die verzweifelt tragische Liebesgeschichte zwischen dem englischen Patienten und Catherine, der Frau eines Forscher-Kollegen zu Tage, die sich in den Jahren kurz vor dem Krieg in Ägypten und der lybischen Wüste zugetragen hatte.

Kip und Hannah verlieben sich ebenfalls ineinander. Aber der Pionier, der jeden Tag erneut sein Leben beim Entschärfen der unzähligen, vom Krieg übrig gebliebenen Mienen und Bomben aufs Spiel setzt, verzweifelt, als er die Nachricht vom amerikanischen Atombombenabwurf auf seinem Heimatkontinent Asien erfährt.

Ondaatje erzählt die Geschichte in einzelnen, oft unverbundenen Episoden und Rückblenden. In einem Interview zu seinem Schreibstil befragt, bekannte er, dass er einfach darauf los schreiben würde, ohne sich vorher ein vollständiges Konzept für einen Roman zurechtzulegen. Im Laufe des Schreibens gewönnen seine Figuren dann an Farbe und Charakter, so dass sie eine Art Eigenleben entwickeln. Zum Glück für den Lesen sind diese oftmals kurzen Fragmente aber nicht vollkommen zusammenhangslos. Man sollte aber nicht versuchen, das Buch in kurze Happen für das Lesen vor dem Zubettgehen zu zerteilen, da man sonst tatsächlichh Gefahr läuft, den Faden zu verlieren.
Ondaatje wechselt oft die Erzählperspektive, die Zeiten und die handelnden Personen, aber der Reichhaltigkeit der Schilderung ihres Gefühlslebens tut dies keinen Abbruch.

Und natürlich ist 'Der englische Patient' wieder ein Buch, das vom Reichtum bereits erzählter Bücher lebt. Die ganze Handlung ist auf Motiven aus Herodots 'Historien' aufgebaut und entwickelt sich um diese herum. Kiplings 'Kim' wird ebenso zitiert wie Stendhals 'Kartause von Parma' oder John Miltons 'Das verlorene Paradies'. Zudem werden wir Zeugen der Vorgehensweise beim Entsch"arfen von Bomben und Blindg"angern, der Erforschung der lybischen Wüste, das Leben englischer Exilanten im ägyptischen Kairo der 30er Jahre und der Musik von Django Reinhardt. Wir lernen sogar etwas über einen 'Semaphor'. Wirklich, das allererste mal, dass ich diesen Begriff in einem Roman gefunden habe. Bisher dachte ich, dass damit Wissenschaftshistoriker und Informatiker etwas anfangen könnten ;-)

Fazit: Ein wirklich unglaublich schöner Roman, sehr poetisch, nicht allzu einfach zu lesen, aber allemal der Mühe Wert. Auch für alle, die bereits den Film gesehen haben, eine absolute Empfehlung! Nehmt euch einen dieser trüben dunklen Novembertage und macht es euch mit einer guten Tasse Tee und diesem Roman auf der Couch bequem. Ihr werdet es nicht bereuen....

Links: